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Vielfalt der Schweizer Flussfische dokumentiert

Eine gross angelegte Bestandesaufnahme in Schweizer Bächen hat über 50 Fischarten erfasst. Erstmals wurde auch bei Kleinfischen wie der Groppe mehr als eine Art identifiziert. Im Rahmen des Progetto Fiumi sind die Flussfische mit standardisierten Methoden inventarisiert und sowohl über äussere Merkmale als auch genetisch untersucht worden. Besonders gross ist die Vielfalt in den grösseren Flüssen im Flachland. Naturnahe Flussabschnitte sind dort allerdings selten.

Gerade mal zwei Zentimeter mass der kleinste Stichling, den die Fischforscherinnen und -forscher im «Progetto Fiumi» inventarisiert haben. 70mal länger, über 140 Zentimeter lang, war dagegen ein Wels aus dem Rhein. Noch riesiger wird die Spanne, wenn man auf die Waage schaut: Den fast 50 Kilogramm des Wels stehen 0,01 Gramm einer Karpfenlarve gegenüber; das entspricht einem Verhältnis von eins zu fünf Millionen. Diese Grössenvielfalt steht sinnbildlich für die enorme Fischvielfalt, die in den Schweizer Flüssen verborgen ist.

Fünf Jahre lang haben die Wissenschaftler vom Wasserforschungsinstitut Eawag mit Hilfe von Fischereiaufseherinnen, Fischpächtern, Mitarbeitenden aus Ökobüros und Freiwilligen an 324 Standorten vom Flachland bis auf über 2200 m.ü.M. Flüsse und Bäche in der Schweiz befischt. Mehr als 20'000 Fische von über 50 Arten wurden gefangen, 12'000 DNA-Proben und über 5000 Schuppenproben wurden für weiterführende Untersuchungen archiviert. Sämtliche erhobenen Daten wurden in einer frei zugänglichen Referenzdatenbank gespeichert. Nach dem «Projet Lac» für die Seen ist mit dem «Progetto Fiumi» nun erstmals auch eine Übersicht über einen Grossteil der Fischvielfalt in Schweizer Fliessgewässern entstanden. Heute wurde der Schlussbericht online publiziert (pdf, in Deutsch, mit Zusammenfassungen in Französisch, Italienisch und Englisch).

In vielen Bächen nur wenige Arten, in wenigen viele

In vielen Bachabschnitten wurden nur wenige Arten registriert, an 158 Standorten sogar nur eine, zumeist die atlantische Bachforelle, Salmo trutta. Nur 16 Standorte waren mit 10 Arten und mehr sehr artenreich. Diese finden sich zumeist an den grösseren Flüssen im Mittelland oder unweit von Seen. Die grösste Artenzahl wurde in grossen Flussstauhaltungen gefunden. Projektleiter Jakob Brodersen ordnet ein: «Das heisst nicht, dass die Lebensräume in gestauten Flüssen besonders wertvoll sind für die Fischdiversität. Denn hier kommen vor allem Arten vor, die in Seen häufig sind. Bedrohte Arten, wie Äschen oder Nasen, die grössere zusammenhängende Flusshabitate mit stärkerer Strömung benötigen, sind hingegen untervertreten oder fehlen ganz.» Überhaupt, so Brodersen, seien die grösseren Gewässer im Flachland nicht nur durch Stauhaltungen, sondern generell besonders stark von künstlichen Eingriffe betroffen und überdies noch kaum untersucht. «Wir sollten daher Wege suchen, wie die wenigen, verbliebenen naturnahen Lebensräume dieser akut gefährdeten Arten besser geschützt werden können», sagt Forscher Brodersen, «der Klimawandel mit hohen Wassertemperaturen und lange anhaltenden Trockenperioden wie 2022 sowie der Druck, möglichst viel Strom aus Wasserkraft zu produzieren, zeigen, wie dringend dieses Anliegen ist.»

Was nicht bekannt ist, verschwindet unbemerkt

Wozu der ganze Aufwand, kann man fragen. Jakob Brodersens Antwort ist eindeutig: «Wenn die Vielfalt der Natur nicht dokumentiert und verstanden ist, können wir sie nicht effizient schützen. Arten oder regionale Vielfalt verschwinden unbemerkt. Das kann zum Verlust von Leistungen des Ökosystems führen und dann auch den Menschen neue Herausforderungen bringen.» Die Bestimmung der Arten draussen am Fluss genüge dabei nicht. Es brauche Expertinnen und Experten mit vertieften Artkenntnissen und eine Kombination von Bestimmungen über äusserliche Merkmalen und mit genetischen Methoden. Nur so werde es möglich, die Artenvielfalt vollständig zu erfassen und Veränderungen früh zu erkennen.

Denn oft zeige erst die Kombination mit genetischen Analysen, wie sich etwa durch Anpassung an unterschiedliche Lebensräume auch innerhalb einzelner Arten eine grosse Vielfalt entwickelt habe. Als Beispiel nennt der Forscher das Flüsschen Bioleyre im Kanton Waadt. Hier schwimmen im Ober- und im Unterlauf zwei ganz unterschiedliche Forellen. Im mittleren Abschnitt kommen sie sogar zusammen vor, bleiben aber weitestgehend unter sich. Ob das eine Folge einer Spezialisierung auf unterschiedliche Nahrung ist oder andere Gründe hat, muss nun näher untersucht werden.

Forelle ist nicht gleich Forelle, Groppe nicht gleich Groppe

Wie die kürzlich publizierte Rote Liste der Fische und Rundmäuler, zeigt auch das Progetto Fiumi, wie stark die in der Schweiz bekannten Forellenarten unter Druck stehen. Ausgenommen ist nur die Atlantische Forelle. Ursprünglich nur im Aare/Rhein- und im Genfersee-Einzugsgebiet heimisch, wurde sie an vielen anderen Orten ausgesetzt und ist heute in der ganzen Schweiz verbreitet. Die norditalienische Bachforelle dagegen ist vom Aussterben bedroht.

Während die Forellenarten aus fünf verschiedenen evolutionären Linien schon bekannt waren, haben die Forschenden im Progetto Fiumi auch in anderen Gattungen, wie bei den Groppen, Schmerlen und Elritzen, mehr Arten gefunden, als sie erwartet haben. Deren exakte Klassifizierung wird allerdings noch Zeit in Anspruch nehmen.

Magere Fische in Restwasserstrecken

Im Rahmen des Progetto Fiumi wurden die Fischbestände und das Vorkommen wirbelloser Wasserorganismen gezielt auch in acht Restwasserstrecken untersucht und mit Gewässerabschnitten ober- und unterhalb der Kraftwerke verglichen: In den Restwasserstrecken kamen sensible Kleintiere – wie Eintags-, Stein- und Köcherfliegen – in geringeren Dichten vor. Die Zahl der Forellen unterschied sich dagegen nicht systematisch. Aber die in Restwasserstrecken gefischten Forellen waren bezogen auf ihre Körperlänge leichter, die Fische also magerer.

Zum Bericht: Brodersen-2023-Erhebung_der_Fischbiodiversität_in_Schweizer-(published_version).pdf

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